Schweißgebadet wachte ich in den zerwühlten Laken auf. Mein Herz klopfte wie wild. Dumpfe Schatten waren von meinem Traum übrig, die allmählich verblassten. Ich war froh darüber, mich nur selten an meine Träume erinnern zu können. Meist handelte es sich bei ihnen um schreckliche Vorahnungen und Albträume. Auch dieses Mal blieb ein dumpfes und bedrückendes Gefühl der Angst.
An Schlaf war nicht mehr zu denken und so etwas wie Kaffee gab es in diesem Haus nicht, also musste ich mich mit schwarzem Tee begnügen, während ich meinen Artikel über Essstörungen überarbeitete. Ich hatte noch nie eine Deadline verpasst und wollte auch jetzt nicht damit anfangen. Es gelang mir jedoch nicht, mich in den Text zu vertiefen. Normalerweise vergaß ich beim Arbeiten die Welt um mich herum.
Ein leises Rascheln erregte meine Aufmerksamkeit. Froh über die Ablenkung lauschte ich in die Stille hinein. Es klang, wie Pfoten, die über den Holzboden huschten und deren Krallen dabei leise scharrten.
Meine Tante hatte keine Haustiere, das wusste ich. Nur die streunenden Katzen und die wilden Tiere im Garten, um die sie sich kümmerte. Keines dieser Geschöpfe kam jedoch jemals ins Haus.
Minutenlang regte sich nichts, daher widmete ich mich wieder meinem Text, bis mich plötzlich ein lautes Poltern aus der Küche aufschrecken ließ. Mein Ellbogen stieß gegen die Teetasse, die gefährlich schwankte. Im letzten Augenblick gelang es mir, die Tasse zu fangen und ein Unglück zu verhindern. Ein Kurzschluss am Laptop wäre das Aus meiner Karriere.
Mit meinem Schuh bewaffnet, wagte ich mich langsam in die Küche vor. Angestrengt blinzelte ich in die Dunkelheit hinein, um etwas zu erkennen. Den Lichtschalter zu betätigen, wagte ich nicht.
Alles lag still und reglos dar. Hatte ich mir das Poltern bloß eingebildet? Andererseits war das Haus sehr alt und Hexenhäuser gaben vielleicht ab und an ungewöhnliche Geräusche von sich. Allerdings war mir das aus meiner Kindheit nicht bekannt.
Nach kurzem hadern schaltete ich nun doch das Licht in der Küche an. Auf den ersten Blick deutete nichts auf etwas Sonderbares hin. Mit erhobenen Schuh trat ich weiter in den kleinen Raum hinein, der mit allerlei Kräuterpflanzen, Gefäßen und Topfen zugestellt war. Auf dem Boden bemerkte ich eine der Dosen, die wohl vom Regal gefallen sein muss und das Poltern verursacht hatte. Der Inhalt war ein silbernes Pulver, das sich nun auf den Fliesen verteilt hatte.
Ich beschloss, die Sauerei am Morgen zu beseitigen, und widmete mich lieber wieder meiner Arbeit.
Zurück am Laptop machte sich ein beklemmendes Gefühl in mir breit. Mir kam es vor, als würde mich jemand beobachten.
In der Regel verdrängte ich diese Gefühle. Ich unterdrückte meine komplette magische Seite. Die ganze Magie war mir schon immer unangenehm gewesen. Als Kind wollte ich lediglich ein normales Leben führen. Als ich endlich volljährig war, erfüllte ich mir diesen Traum und kehrte meiner Vergangenheit den Rücken zu.
In Gedanken versunken sah ich plötzlich einen Schatten an mir vorbei huschen.
„Wer oder was auch immer du bist, los, zeige dich!“, schrie ich in den Raum hinein und sprang auf. Dabei stieß ich erneut gegen meine Tasse.
„Oh nein!“, schrie ich und griff nach meinem Laptop. Im letzten Moment schaffte ich es, ihn zu retten, während sich der Inhalt über den Tisch verteilte.
Ein lautes Quieken ertönte und eine schneeweiße Maus tauchte auf dem Tisch auf. Vor Schreck ließ ich fast meinen Laptop fallen.
Das Tier war leicht durchsichtig und schaute mich mit großen, dunklen Augen an.
„Du bist … Du bist eine…“, stotterte ich und taumelte rückwärts, bis ich auf dem Sofa landete.
„Geistermaus. Mein Name ist Ginessa. Aber sag ruhig Ginni. Und ich wollte dich nicht erschrecken.“
„Geistermaus?“
Dass es Geister gab, war mir nicht neu, allerdings hatte ich noch nie von Tiergeistern gehört, die in Häusern lebten.
„Ja, eine Geistermaus. Und du musst Deoiridh sein. Deine Tante hat viel von dir erzählt.“
„Du kanntest Arely?“, ungläubig starrte ich Ginessa an.
„Natürlich, sie gehörte schließlich zu meinen besten Freunden und ich war sowas wie ihre Mitbewohnerin.“
„Mitbewohnerin? Aber, sie hat dich nie erwähnt“, stotterte ich.
„Sie sagte, ihr hattet in den letzten Jahren nicht viel Kontakt. Aber sie hat viel von dir gesprochen. Als ich ihr vorschlug, sie solle dich anrufen zögerte sie jedoch. Und als sie sich dann bei dir melden wollte, verschwand sie vorher. Seit dem passe ich auf das Haus auf.“
„Dann weißt du mehr über ihren Tod?“, fragte ich hoffnungsvoll. Vielleicht war die Maus der Schlüssel, um mehr zu erfahren. Niemand wusste schließlich, was mit Arely geschehen ist.
Ginessa senkte den Blick und trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
„Also… So gern ich dir helfen würde, ich kann es nicht. Sie war einfach verschwunden. Ich erinnere mich noch daran, wie sie in den Garten ging. Aber sie kam nie zurück. Du musst wissen, ich kann das Haus nicht verlassen.“
Ginni klang traurig. Mitleidig sah ich den kleinen Geist an. Sie schien meine Tante wirklich gemocht zu haben.
Als die ersten Sonnenstrahlen sich ihren Weg ins Haus bahnten, verabschiedete Ginni sich und ging schlafen. Wir hatten uns den Rest der Nacht unterhalten, weshalb auch ich müde war, mir den Luxus mich ins Bett zu legen jedoch nicht gönnte. Stattdessen kochte ich eine Kanne schwarzen Tee und ließ mir die Unterhaltung nochmals durch den Kopf gehen.
Ginni erzählte mir, dass meine Tante sich kurz vor ihrem Verschwinden immer seltsamer Verhalten hatte. Arely versteckte es, so gut es ging, aber es waren Kleinigkeiten, die der Maus auffielen.
So schien meine sonst so sorgfältige Tante oft durch den Wind zu sein. Sie ließ immer etwas liegen und vergaß, wo sie es hingelegt hatte. Außerdem berichtete die Maus, dass Arely vermehrt mit jemanden telefoniert hatte, die Person jedoch niemals gegenüber Ginni erwähnte.
Die ganze Sache war sehr mysteriös. Bei einem war sich die Geistermaus jedoch sicher, Arely war nicht tot.
Nachdem ich die Küche geputzt hatte, kehrte das ungute Gefühl in mir zurück.
Kurz darauf schlug vor dem Haus eine Autotüre mit lautem Knall zu und die Türklingel ertönte.
von Sabrina Osmers